Meine Begierde
In diesem Jahr hielt sich Mahaprabhuji während der vier Monate des Monsun im Rai ka Bagh-Palast zu Jodhpur auf, und ich begleitete ihn. Am Morgen des fünften August bat ich Mahaprabhuji:
"Ich möchte heute gerne Sri Man Singh, den Aufseher des hiesigen Gefängnisses, besuchen."
Gurudeva antwortete: "Geh nur, wenn du möchtest."
So suchte ich Sri Man Singh auf, der sich über mein Kommen sehr freute. Nach unserem Satsang lud er mich zum Essen ein.
Für seine Einladung dankend sagte ich:
"Ich werde kommen, wenn du für mich Hirsebrote machst."
Er antwortete:
"Zwar habe ich keine Hirse im Haus, werde aber für dich welche besorgen. Jedenfalls mußt du unbedingt bei mir essen!"
Er lief aus dem Haus und kam eine Stunde später mit Hirsemehl wieder. Damit bereitete er für mich einige Brote zu, und ich genoß die Mahlzeit sehr.
Nach dem Essen kehrte ich zu Mahaprabhuji zurück. Bald darauf bekam ich furchtbare Magenschmerzen. Mahaprabhuji sah mich leiden und fragte nach der Ursache meines Unwohlseins. Ich sagte, ich hätte Krämpfe im Magen, worauf er wissen wollte, was ich zu Mittag gegessen hätte.
"Ich habe heute frische Hirsebrote gegessen", gestand ich ihm.
Vor Mahaprabhuji konnte man nichts verbergen - er wußte alles, noch bevor man es ihm erzählte. Und er erteilte mir sofort die wohlverdiente Lehre:
"Es war nicht richtig von dir, diese Brote zu verlangen. Du hast damit gegen das Gesetz der Sannyasins verstoßen, welches gebietet, keine selbstsüchtigen Forderungen an die Schüler zu stellen. Hinter deinem Wunsch stand Begierde. Daher resultieren nun deine Magenschmerzen. Swamis sollen nur das essen, was ihnen vom Gastgeber angeboten wird. Du weißt vielleicht nicht, daß es Sri Man Singh große Schwierigkeiten bereitete, Hirsemehl zu besorgen. Jedenfalls folgte die Strafe prompt."
Meinen Fehler erkennend bat ich Mahaprabhuji um Verzeihung:
"Ich sehe ein, daß ich nicht richtig gehandelt habe. Bitte, habe Mitleid mit mir!"
Mahaprabhuji sprach:
"Genau um die Uhrzeit, in der du die Brote gegessen hast, werden die Schmerzen wieder vergehen. Wie spät war es, als du sie zu dir genommen hast?"
"Elf Uhr", antwortete ich.
"Dann werden die Schmerzen morgen um elf Uhr vorbei sein."
Er fügte hinzu: "Nichts gehört dir. Halte dich an die Wahrheit und besinne dich auf Gott."
Mir blieb nichts anderes übrig, als die Folgen meines selbstsüchtigen Wunsches weiterhin zu ertragen. Doch war in Mahaprabhujis Gegenwart meine Aufmerksamkeit so sehr auf ihn gerichtet, daß ich meine Schmerzen fast völlig vergaß. So gingen die Stunden schnell vorbei. Wie Mahaprabhuji vorausgesagt hatte, fühlte ich mich vierundzwanzig Stunden später wieder ganz wohl.
Nächstes Kapitel: Ein Bär als Lehrer
Voriges Kapitel: Blinde Reise nach Gujarat
Übersicht: Mein Leben mit Mahaprabhuji