Thakur Revat Singh
Im rajasthanischen Bezirk Nagaur herrschte über Bari Khatu und einige andere Ortschaften dieser Gegend das Fürstengeschlecht Chopavat Rathor, das seinerseits dem Maharaja von Jodhpur unterstellt war. Die Herrscher aus diesem Geschlecht waren für ihre Härte und Grausamkeit bekannt und gefürchtet.
Wurde ein Dorfbewohner in den Palast gerufen, so zitterte er, und dies nicht ohne Grund. So wurde beispielsweise bei einem gerichtlichen Verhör dem Angeklagten ein schwerer Stein auf den Kopf gelegt, in der Absicht, durch diese Maßnahme eine abschreckende Wirkung zu erzielen; Einschüchterung und Folter freilich sind noch nie geeignete Mittel in der Rechtsprechung gewesen.
Die Familie selbst führte ein ausschweifendes Leben. Für die üppige Tafel mußten täglich zahlreiche Ziegen und Hühner ihr Leben lassen, und bei den abendlichen Gelagen wurde maßlos dem Alkohol zugesprochen.
Diese Lebenshaltung änderte sich jedoch ein wenig zum Besseren, als Sri Revat Singh die Nachfolge seines Vaters antrat. Sri Revat Singh war von mildem und gütigem Charakter, und er besaß höhere Interessen, als nur zu tafeln und zu feiern.
In dieser Zeit war der Ruhm von Sri Devpuriji und Mahaprabhuji bereits weit verbreitet. Auch Sri Revat Singh hatte von ihnen gehört und dachte:
"Bisher habe ich dem Umstand, daß in meinem Land zwei bedeutende Heilige leben, keine Beachtung geschenkt. Zum Heil meiner Seele möchte ich sie nun aufsuchen, um ihren Segen zu empfangen."
Auf diese Eingebung hin machte er sich mit seinem Gefolge auf den Weg zum Ashram von Khatu.
Schon beim Eintritt in den Ashram wurde einjeder von einer tiefen inneren Freude erfaßt - der bloße Anblick Mahaprabhujis genügte, um die Herzen dieser Menschen mit Liebe und Frieden zu erfüllen. Mahaprabhuji hieß sie freundlich willkommen und erkundigte sich höflich nach der Gesundheit des Fürsten und seiner Familie.
Schließlich fragte er Sri Revat Singh:
"Raja, deine Zeit wird von zahlreichen Regierungsgeschäften in Anspruch genommen. Was hat dich veranlaßt, dich selbst hierher zu bemühen?"
Sich verbeugend antwortete Sri Revat Singh:
"Herr, ich bin zu Dir gekommen, um den wahren Sinn meines Lebens zu erfahren."
Mahaprabhuji erwiderte:
"Mich erfüllt der heilige Klang des Namens meines Gurudeva. Könige wie Bettler, Reiche wie Arme gelten vor mir gleich."
Und er sang mit seiner wunderbaren Stimme diesen Bhajan:
DIVANA SATGURU NAM KA MASTANA HELI
Erfüllt vom Namen Gurudevas bin ich wunschlos und glückselig,
friedvoll wie der wolkenlose, klare Himmel,
unwandelbar und von innerer Festigkeit gleich der Erde.
Sein Wort ist für mich Nektar, sein Dasein erfrischender Quell.
Er unterscheidet nicht zwischen niedrig und hoch:
Kiesel und Diamant sind vor ihm von gleichem Wert.
Er kennt kein Verlangen -
auch nicht jenes, König des Himmels zu werden.
Er fürchtet niemanden, mag dieser König oder Bettler sein.
Ihn bekümmert weder Hunger noch Durst.
Er ist unerschütterlich und fest wie ein Fels,
befreit von Tod und Wiedergeburt.
Weder Siddha noch Peer[1] ist er der Wohltäter aller.
Swami Deep sagt: Der Satguru ist Avadhuta und Aulia[2] -
er ist der größte unter allen Helden.
Sri Revat Singhji verneigte sich vor Mahaprabhuji und sprach:
"Wahrlich, reich gesegnet ist unser Land durch die Anwesenheit eines Heiligen wie Du. Herr, ich möchte aus meinem Leben etwas Würdiges und Gutes machen! Nur mit diesem Wunsch wende ich mich an Dich. Ich kam zu Dir mit großer Hoffnung und dem Glauben, daß Deine Gnade alle befreit, die bei Dir Zuflucht suchen. Darum bitte ich Dich, mich als Deinen Schüler anzunehmen.
Ich lade Dich ein, in meinem Palast zu wohnen. Bitte, komm und reinige mein Haus durch Deine heilige Anwesenheit."
Daraufhin blickte Mahaprabhuji ihn sehr ernst an:
"Ich würde deiner Einladung gerne Folge leisten, wenn dir durch meine Anwesenheit geholfen wäre. Verfällst du jedoch, nachdem ich den Palast verlassen habe, sofort wieder in deine alten Gewohnheiten, so ist mein Besuch ohne Nutzen. Nur indem du mich in dein Herz einkehren läßt, erfüllt mein Kommen seinen Sinn. Gemeinsam können wir dann dein Haus reinigen und den sündhaften Lebenswandel beenden."
Betroffen erwiderte der Thakur:
"Ich schwöre: wenn Du mir die große Ehre erweist, mein Haus zu betreten, wird von diesem Augenblick an nichts mehr geschehen, was nicht Deine Zustimmung findet."
Mahaprabhuji sprach:
"Als erstes muß das Schlachten von Tieren und das Trinken von Alkohol eingestellt werden."
Sofort stimmte der Maharaja zu:
"Es wird geschehen, wie Du es verlangst."
Mahaprabhuji, nunmehr von der aufrichtigen Gesinnung Thakur Revat Singhs überzeugt, sagte:
"Raja, du bist ehrlich und deine Gedanken sind rein. Zum nächsten Vollmond werde ich dich besuchen. Bereite an diesem Tag einen Satsang in deinem Palast vor und lade dazu alle Ergebenen ein, gleichgültig welchem Stand sie angehören mögen."
Bei diesen Worte verspürte Sri Revat Singh in seinem Herzen Glückseligkeit wie nie zuvor in seinem Leben. Tief berührt verneigte er sich vor Gurudeva und bedankte sich. Sodann machte er sich mit seinem Gefolge auf den Heimweg.
Sofort ließ er überall die Einladung zum bevorstehenden Satsang verkünden. In allen Dörfern erregte dies großes Aufsehen, da es als ausnehmende Besonderheit galt, daß Mahaprabhuji seinen Ashram verließ, um jemandem einen Besuch abzustatten; pflegte er doch zu sagen: "Der Dürstende muß zum Wasser kommen, nicht umgekehrt."
Doch dieses Mal brach Mahaprabhuji mit dieser Regel, um den Wunsch eines Ergebenen zu erfüllen. Für die Menschen ereigneten sich damit gleich zwei Wunder: nicht nur, daß Mahaprabhuji zu ihnen kam, auch ihr Herrscher hatte sich auf wundersame Weise verändert. Als erstes verbot er das Schlachten von Tieren sowie das Trinken von Alkohol auf seinem Anwesen, ebenso die Peinigungen bei gerichtlichen Verhören. Danach wandte er sich den Vorbereitungen für das Fest zu. Der Palast wurde gereinigt, frisch ausgemalt und herrlich geschmückt. In dem Wunsche, alle an dem großen Ereignis teilhaben zu lassen, lud der Thakur seine Untertanen und Freunde Bauern und Händler aus den Dörfern ebenso wie Adlige und Fürsten anderer Provinzen - zu dem bevorstehenden Fest ein.
Nach dem Hindu-Kalender fiel der Satsang auf den Tag Chatra Sudhi Purnima, also Ende April, wo das Wetter milde ist und die Bauern nach der Frühjahrsernte eine kurze Arbeitspause haben. Unzählige Menschen strömten herbei - die Männer mit gelben, orangefarbenen, rosa oder roten Turbanen und die Frauen in leuchtenden Saris, die in allen Farben des Regenbogens schillerten und mit glitzernden Gold- und Silberfäden bestickt waren. Die Adligen und Würdenträger trugen prächtige Uniformen.
Für Mahaprabhuji wurde eine Sänfte gebaut, mit kostbaren Stoffen ausgekleidet und mit Blumen wundervoll geschmückt. Überall ertönte Musik: begleitet von zahlreichen Instrumenten wurden immer neue Bhajans angestimmt. In Bari Khatu entstand wahrlich eine himmlische Atmosphäre. Solch ein Fest hatte hier noch nie stattgefunden! Jedermann nahm daran teil, gleichgültig welcher Religion oder Kaste er angehörte.
Bauern, Adlige, Dorf- und Stadtbewohner zogen in einem Festzug zum Ashram, um Gurudeva das Geleit zu geben. Dort angekommen, begrüßten sie Mahaprabhuji ehrfurchtsvoll und schmückten ihn mit Blumenmalas[3] . Ihm zu Ehren sangen sie Bhajans, Kirtans und Mantras. Schon nach kurzer Zeit war der Himmel mit Klängen erfüllt; und es schien, als stimmten sogar die Engel in den Gesang ein.
Mit glücklichen Gesichtern umringten die Anwesenden Mahaprabhuji, der mitten unter ihnen saß und auf sie blickte wie der Vollmond auf die Sterne.
Schließlich teilte sich die Menge, um für Mahaprabhujis Sänfte einen Weg zu schaffen. Alle riefen:
"Maha Prabhu Deep ki Jay! - Sieg sei Mahaprabhu Deep!" "Sat Sanatan Dharma ki Jay! - Sieg sei Mahaprabhuji! Sieg der wahren Religion!"
Langsam wurde die Sänfte in Richtung Khatu getragen, begleitet von den singenden und betenden Ergebenen. Auch den folgenden Bhajan von Swami Shivananda sangen sie:
SRI DHARMA SANATAN PALAN KARAN GURU NARAYAN
Zur Bewahrung des Sanatan Dharma[4] inkarnierte
Satguru Narayan und kam aus Satya Loka[5] in unsere Welt.
Durch sein göttliches Wissen erlangte ich Klarheit,
wurde befreit von Zweifel und Unwissenheit.
Er zeigte mir die Wirklichkeit,
und ich erkannte diese Welt als Traum.
Die Fesseln des schlechten Karmas sind zerrissen.
Ich erfuhr mein wahres Selbst!
Er führte mich über den Ozean der Welt,
befreite mich von allem irdischen Leid.
All mein Bemühen ward durch ihn erfolgreich.
Das Sanatan der menschlichen Geburt
dient der Hingabe zu Gurudev und Ishvara.[6]
Sri Mahaprabhuji ist der göttliche Meister!
Swami Shivananda sagt:
Ich bezeuge ihm meine tiefe Verehrung;
sein Name bedeutet Glückseligkeit.
Er vereinigte mich mit dem Höchsten Selbst.
Welch ein Glück war es, ihm zu begegnen!
Im Dorf angekommen, ließ Mahaprabhuji sich auf dem vorbereiteten Podium nieder und an seiner Seite nahmen Sri Revat Singh, seine Frau Srimati Chundavat sowie deren ganze Familie Platz.
In einer Feuerzeremonie erhielten sie von Mahaprabhuji die Mantraeinweihung. Bei dieser feierlichen Handlung ist es üblich, dem Guru Geschenke darzubringen. Sri Revat Singh verneigte sich tief vor Mahaprabhuji und bot ihm sein Land mit allen seinen Besitztümern als Gabe an. Mit gefalteten Händen sprach er:
"Nichts gehört mir! Alles ist Dein! Ich gebe Dir nur, was bereits Dein Eigentum ist."
Lächelnd antwortete Mahaprabhuji:
"Raja, wohl sind dein Land und Besitz Gurudevas Eigentum, und du bist nur deren Verwalter - was aber sollte ein Swami wie ich mit Reichtum und weltlicher Macht wollen? Regiere du dein Land weiterhin. Dies ist deine Wirkungsstätte und deine Pflicht. Vergiß niemals, daß du der Diener Gottes bist. Mit Seinem Segen wirst du in Liebe, Güte und Demut regieren. Öffne dein Herz für das Leid und die Sorgen deiner Untertanen und höre die Klagenden an. Diene selbstlos zum Wohle aller. Betrüge die Menschen nicht und bürde ihnen keine ungerechten Steuern auf. Achte auf Gerechtigkeit in deinem Land."
Ein feierlicher Akt war es, als Sri Thakur Revat Singhji von Mahaprabhuji die Mantraeinweihung erhielt. Die Gläubigen streuten Blumen aus und riefen immer wieder: "Sri Maha Prabhuji ki Jaya!"
Über drei Tage und Nächte hinweg dauerte der Satsang an. Alle verbrachten diese Zeit mit Gebet und Gesang. Viele erhielten auf ihre Bitten hin von Mahaprabhuji die Mantra Diksha[7]. Einer von ihnen, Seth Bankat Lal Bajaj, widmete Mahaprabhuji das folgende Gebet:
OM PRABHU DEVO SWAMI ANTAR YAMI
OM Prabhu Deep, Gott unserer Herzen!
Paramatma, allgegenwärtiges, göttliches Sein!
Du bist Weisheit, Befreier von Illusion, höchste Manifestation.
Prabhu,
Wahrheit, Wissen und Ursprung!
Du führst uns von der Zwiegespaltenheit zur Einheit.
Tattva-Darshi Mahatma,[8]
Unwissende kennen die Bedeutung des Satsang nicht.
Prabhu,
über allem stehend, frei von allem, Befreier für alle!
Unsterblich, allgegenwärtig, gestaltlos, Mahatma !
Prabhu,
gnadenvoller Übermittler der Weisheit!
Ewiger Paramatma, Beschützer und Erhalter,
jenseits irdischer Wahrnehmung! Göttlicher Atma!
Zu Deiner heiligen Gegenwart kommen die Rechtschaffenen,
die Unwissenden hingegen weigern sich.
Prabhu Deep!
In jedem Herzen verbirgst Du Dich, Du Licht aller drei Welten.
Bankat Lal bittet zu Dir: Befreie uns von der Unwissenheit!
Dieses Gebet inspirierte alle Anwesenden. Und sie alle priesen und verehrten Mahaprabhuji.
Die Heiligen und Weisen, Devas und Gandharvas bringen dem Land, in dem Sri Narayana erschienen ist, tiefe Verehrung entgegen. Jedes Sandkorn dieses Landes ist heilig. Wie liebe ich Marudhar, weil es der Ort ist, wo Sri Mahaprabhuji inkarnierte!
Noch eine weitere Hymne dichtete Seth Bankat Lal Bajaj zu Ehren Mahaprabhujis:
PYARO GHANO LAGE MANE DES MARUDHAR
Wie liebe ich das Land Marudhar,
wo der göttliche Satguru inkarnierte!
Gesegnet sind seine göttliche Mutter und sein Vater,
seine Geschwister und Verwandten!
Gesegnet sind das Land und das Dorf;
jedes Haus, in das er eintritt, ist hochbeglückt.
Götter und Heilige, Brahma, Vishnu, Indra, Hari und Shiva,
unzählige Rishis, Munis und Inkarnationen
preisen Hindusthan als den höchsten Ort!
Satguru Swami Deep Narayan aus Khatu -
Bankat Lal spricht: Meine Verehrung und Hingabe
zu Deiner heiligen Gegenwart!
Alle, die nach Khatu gekommen waren, erhielten in diesen Tagen reichen Segen. Glücklich sind die Menschen, denen es vergönnt ist, einem Satguru und seinen ergebenen Begleitern zu begegnen.
Mahaprabhuji verweilte noch weitere drei Tage in der Residenz des Maharajas und kehrte dann zu seinem Ashram zurück. Alle, die am Satsang teilgenommen hatten, begleiteten ihn auf seinem Weg, war doch ihre innere Glückseligkeit, hervorgerufen durch die Gegenwart Gurudevas, so übergroß, daß sie sich nicht mehr von ihm trennen wollten. Schließlich aber wandte Mahaprabhuji sich liebevoll an sie:
"Meine geliebten Schwestern und Brüder, ihr sollt nun wieder zu euren täglichen Pflichten zurückkehren. Ich bin immer bei euch. Wo immer meine Ergebenen an mich denken, dort bin ich auch."
Obwohl es allen sehr schwer fiel, kehrten sie reich beschenkt mit Weisheit, Liebe und Gnade wieder in zu ihren alltäglichen Betätigungen zurück. In Khatu kehrte Stille ein, und eine Zeitlang glich es einem verlassenen Vogelnest oder gar einem Teich ohne Wasser.
Sri Revat Singh hatte gelobt, Mahaprabhuji jeden Tag zu besuchen. Und so wanderte er jedesmal mehrere Kilometer von seinem Palast durch die Wüste zum Ashram. Als Herrscher ging er natürlich nicht allein, sondern in Begleitung von Dienern und weiterem Gefolge. Doch obgleich Pferde und Kamele dem Zug angehörten, ritt der Raja niemals, sondern kam immer zu Fuß. Mahaprabhuji fragte ihn eines Tages:
"Wenn Gott dir diese Annehmlichkeiten gegeben hat, warum nützst du sie dann nicht?"
Sri Revat Singh erwiderte:
"Mein Meister, erstens gehört dies alles nicht mir, sondern Dir, zweitens aber geziemt es sich, vor einem Heiligen Demut zu üben. Vor Dir bin ich nicht König, sondern Diener. Deshalb betrete ich Dein Königreich zu Fuß."
Die Untertanen des Thakur waren wegen dessen demütiger Hingabe an seinen Guru sehr stolz auf ihren Herrscher.
In der Vergangenheit wurden in Indien Yoga und eine fromme Lebenshaltung auch von Königen und Fürsten praktiziert und hochgehalten. Leider haben die Herrschenden und mit ihnen auch die anderen Menschen diesen Pfad inzwischen verlassen, und so verfällt das spirituelle Wissen, bis Gurudeva wieder auf die Erde kommt, um die göttliche Weisheit zu neuem Leben zu erwecken.
In der Bhagavad Gita (Kapitel 4/2) steht:
"Nur die Raj-Rishis[9] verwirklichten die Prinzipien von Bhakti und Gyana[10] in ihrem Königtum. Dieser Yoga ist schon seit langer Zeit von der Erde verschwunden. Doch immer dann, wenn eine göttliche Inkarnation auf Erden erscheint, wird der Gyan-Yoga[11] wieder erweckt."
Thakur Revat Singh wurde nie müde, seinen Guru zu preisen:
"Die Gnade eines Meisters ist das Höchste, die Quelle wahren Glücks in der Welt. Ich bin unwissend, bin gar nichts. Nur durch Gurudevas Gnade durfte ich dies alles erfahren. Der Satguru ist es, der alles gibt. Alle anderen - mögen sie noch so mächtig und reich sein - sind Bettler vor seiner Tür. Nur der Segen des Satguru verleiht Frieden."
Mahaprabhuji sagte zu ihm:
"Das ist wahr. Nur jenen, die durch Bhakti-Yoga[12] zu Atma-Gyana[13] gelangen, wird dieses Wissen zuteil. Sie sind die einzigen Wesen, die ihr Menschentum verwirklichen. Die anderen haben zwar menschliche Gestalt, bleiben jedoch den tierischen Eigenschaften unterworfen, und so erschöpft sich ihre Lebensweise in Essen, Trinken, Schlafen und Vermehrung. Worin unterscheidet sich ein solcher Mensch noch von einem Tier? Ist es doch allein dem Menschen möglich, den allgegenwärtigen und allwissenden Gott, den Herrn des Universums, zu erkennen - Ihn, der im Herzen aller Wesen wohnt. Möge jedermann Gott in sich selbst finden und so in sich die Liebe zum Höchsten erwecken! Denn die göttliche Kraft ruht in jedem von euch. Ohne die Erkenntnis dessen bleibt das Tor zur Befreiung allerdings verschlossen.
Du magst alle heiligen Schriften studiert und die Veden auswendig gelernt haben - bevor du nicht dein eigenes Selbst erkennst, wird dir dein Wissen nichts nützen. Trage Gott ständig in deinem Bewußtsein und pflege deine Verehrung für Ihn ohne Unterlaß.
Der Unwandelbare, der Ewige - Er existiert in dir!
Solange du die Gegenwart Gottes im Herzen nicht fühlst, bist du dem Löffel im Honig gleich, der nichts von dem süßen Geschmack spürt, der ihn umgibt. Nur Gurudeva vermag dem Schüler Erleuchtung zu geben. Er überträgt ihm göttliche Energie, göttliches Licht, wodurch dieser in seinem Herzen Liebe entwickelt und das Gefühl unbeschreiblichen Segens erfährt. Einzig aufgrund dieser Erweckung kann es zu Gottverwirklichung kommen. Und dies ist nur zwischen einem göttlichen Meister und einem ihm vollkommen ergebenen Schüler möglich."
Solche Lehren erteilte Mahaprabhuji seinem Schüler Sri Revat Singh. In seinen Satsangs machte er die Veden und andere heilige Schriften verständlich durch Bhajans, Gleichnisse und Beispiele aus dem täglichen Leben, all dies in einfachen Worten und in einer allen zugänglichen Sprache.
Die Bekehrung der Bhopas[14]
Auch in unserer Zeit ist der Aberglaube noch weit verbreitet, so auch der Glaube an Orakel. Zahlreiche Betrüger wissen hiervon zu profitieren und betrügen gutgläubige Menschen, indem sie sich als Medien oder Propheten ausgeben.
Eine Orakelbefragung läuft meistens so ab: Das "Medium" versetzt sich - umgeben von duftendem Räucherwerk und suggestiv begleitet von rhythmischen Trommelschlägen - vor dem Standbild einer Gottheit in Trance und verkündet dann pathetisch seine "Prophezeihungen". Meist beschränkt sich die Weissagung darauf, der arme Bittsteller habe unwissentlich die Gottheit erzürnt. Sie ließe sich jetzt nur noch mit einem Opfer versöhnen, also etwa einem Schaf, einer Ziege oder einem Büffel. Der Gläubige beeilt sich nun, das geforderte Opfer darzubringen, und im Bestreben, den göttlichen Zorn zu beschwichtigen, werden oft zahlreiche Tiere geschlachtet und anschließend von den Orakelpriestern verzehrt.
Fast alle Inder wissen, daß es unrecht ist, Tiere um der bloßen Gaumenfreude willen zu töten. Daher dienen diese scheinbar religiösen Orakel oftmals deren Urhebern als willkommene Gelegenheit zum Fleischgenuß. Sie betrügen die Menschen, die teure Tiere spenden, und halten sie zum Narren, indem sie sie noch tiefer in diesen sinnlosen Aberglauben treiben.
Im Bezirk Nagaur hatten die Umtriebe der Bhopas bereits ein unerträgliches Ausmaß angenommen. Schamlos betrogen sie das Volk und führten es an der Nase herum. Sie betranken sich und führten im Delirium wilde Tänze auf, wobei sie behaupteten, Gott selbst trete in ihre Körper ein und lenke diese. Ihr ausschließliches Bestreben freilich war, den Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen. So forderten sie von den Dorfbewohnern zahlreiche Tieropfer, Wein- und Geldspenden zu ihrem eigenen Nutzen. Die Bhopas behandelten auch Kranke mit allerlei verantwortungslosen Humbug und verursachten viel Schaden unter den Menschen, die ihnen in ihrer Unwissenheit Glauben schenkten.
Mahaprabhuji aber setzte diesem Treiben ein Ende. Eines Tages rief er Thakur Revat Singh zu sich und wies ihn an, kraft seines Amtes die Orakel zu verbieten:
"In deinem Land üben Bhopas sehr schlechten Einfluß auf die Menschen aus. Sie entlocken ihnen ihr Geld und bringen Tieropfer dar, um in den Genuß von Fleisch zu kommen. Dieser Mißstand muß endlich beseitigt werden. Kein Gott und keine Göttin wird jemals Blut verlangen, denn sie alle sind gütig und voll Liebe. Die Anweisung zu blutigen Opfern kommt somit niemals von Gott, sondern sie entspricht einem Aberglauben, den Angst und innere Finsternis nähren. Nun soll diesen Gebräuchen ein Ende gemacht werden."
Thakur Revat Singh sagte entschuldigend:
"Gurudeva, ich möchte dies gerne tun, aber der Meister der Bhopas vereitelt all meine Bemühungen. Kalidasa, wie sie ihn nennen, lebt in einer Höhle in den Bergen. Er ist ein mächtiger Magier, von roher und grausamer Natur. Im Volk genießt er Verehrung, da man ihn fürchtet. Zahlreiche Sadhus besiegte er durch seine magischen Kräfte, und alle Bhopas stehen unter seinem Schutz."
Mahaprabhuji hörte den Bericht des Thakur lächelnd an.
"Raja", sagte er, "du hast Gurudeva immer noch nicht erkannt! Niemand kann dem ein Leid zufügen, der unter meinem Schutz steht. Wäre auch die ganze Welt ihm feindlich gesonnen, nicht ein einziges Haar würde ihm gekrümmt. Selbst der Gott des Todes weicht vor dem, der in Gurudevas Gnade lebt. Sei also ohne Furcht und laß alle Bhopas festnehmen. Sage ihnen, nur ihr Meister könne sie befreien. Unzählige unschuldige und unwissende Menschen wurden von ihnen schmählichst betrogen - dies wird ein Ende haben. Wo Gurudeva das Licht der Wahrheit verbreitet, muß die Dunkelheit fliehen."
Wie Mahaprabhuji ihm aufgetragen hatte, befahl Thakur Revat Singh seinen Männern, alle Bhopas festzunehmen. Ermutigt durch die Versicherung, daß Mahaprabhuji seine schützende Hand über sie halte, überwältigten die Männer in einem Handstreich die Orakelpriester. Diese riefen zwar zu ihren Göttern und versuchten sich mit Hilfe ihrer Siddhis und mit Zaubersprüchen zu befreien, doch zu ihrem Erstaunen waren diese wirkungslos geworden.
Bald erfuhr auch ihr Meister Kalidasa von dem Schicksal, das seinen Schülern widerfahren war. Da rief er seinen mächtigsten Schutzgott an und sprach einen Fluch über Mahaprabhuji und den Thakur, der diesen den Tod bringen sollte. Doch blieben beide unversehrt - er selbst hingegen verlor all seine magischen Kräfte. Indem er fühlte, daß die Siddhis, die er sich durch jahrelange Übung verschafft hatte, ihm nicht mehr zur Verfügung standen, schloß er:
"Es ist gar nicht möglich, daß das geschieht! Besaß ich doch bis heute übermächtige Gewalt! Und jetzt sollen plötzlich all meine magischen Kräfte nicht mehr wirken? Sie scheinen sogar gegen mich selbst zurückzuschlagen. Kann ich nicht mehr meine Schüler beschützen, so ist all meine Macht dahin und mein Leben fernerhin nichts wert. Doch ich will es diesem Mahaprabhu und dem Thakur zeigen!"
Und so wandte er nochmals all seine magischen Kräfte an und sprach vernichtende Bannflüche, doch der Erfolg blieb wiederum aus. Da stieg in dem wilden Kalidasa ungekannter Zorn ob der eigenen Ohnmacht auf.
Die Bhopas waren bitter enttäuscht, da ihr Meister und ihre Schutzgötter sie nicht zu befreien vermochten. Sie warfen sich Thakur Revat Singh zu Füßen und versprachen, von ihrem gesetzlosen Tun abzulassen. Dieser ließ sie nun gemäß Mahaprabhujis Anweisung frei, und sie hielten Wort und wurden Ergebene Gurudevas. Als seine Schüler führten sie von da an ein reines, gottgefälliges Leben.
Nachdem sie ihren illegalen Tätigkeiten entsagt hatten, sorgte Mahaprabhuji auch für die Grundlage ihres künftigen Lebensunterhalts. Auf sein Geheiß hin schenkte Sri Revat Singh jedem von ihnen ein Stück fruchtbares Ackerland, und damit entzog er Aberglauben und Tieropfer den Nährboden.
Kalidasa aber wurde infolge seines maßlosen Zornes und seiner bösen Gedanken von der Lepra befallen. Da gab auch er seinen Stolz auf und kam zu Mahaprabhuji, um Vergebung zu erbitten. Der barmherzige Sri Gurudeva machte ihm keine Vorwürfe, sondern blickte ihn voll Gnade an. Er schenkte ihm Heilung und ermahnte ihn:
"Nichts gehört dir. Folge der Wahrheit und besinne dich auf Gott."
Eine wahrhaft große Seele blickt nicht auf die Fehler des anderen. Sie gewährt allen ohne Unterschied Gnade und Hilfe.
Thakur Revat Singh verbrachte seine Zeit mehr und mehr bei Gurudeva, erfüllt von der Sehnsucht, seine göttliche Weisheit zu hören. Seine Freunde konnten das nicht verstehen und fragten ihn, warum er sich den ganzen Tag über bei Mahaprabhuji aufhalte. Da sang Thakur Revat Singhji:
SATGURU DARSHAN DINA NEN THARE RE
Mein Satguru gewährte mir seinen Darshan
- sein Anblick hat mein Dasein verwandelt.
Meine Augen sehen nur Ihn,
und alle meine Wünsche sind bereits erfüllt.
Überströmende Freude durchdringt mein Herz:
Die Dunkelheit verließ mein Inneres;
der Schleier der Unwissenheit ist entfernt.
In mir ist nun alles klar und licht,
alle Zweifel und Schwierigkeiten sind aufgelöst.
Noch auf Erden weilend ist das Selbst
vom Kreislauf der Wiedergeburten befreit.
Die Boten des Todes sind vertrieben.
Mein Satguru Swami Deep ist Hari und Brahman.[15]
Jetzt ist sein Ergebener Revat Singh ohne Furcht.
Indem die Freunde dieses Lied hörten, erkannten sie Thakur Revat Singh als großen Weisen. Dies ist die Frucht des Satsang.
Chatur Singh gibt das Jagen auf
Eines Tages mußte Thakur Revat Singh geschäftlich nach Jodhpur reisen. Dort traf er einen Fürsten namens Chatur Singh, der ein leidenschaftlicher Jäger war und den Thakur fragte:
"Warum gehst du nie auf die Jagd?"
Thakur Revat Singh antwortete:
"Wir haben von Gott die Gnade des menschlichen Lebens und damit die Gabe der Unterscheidung zwischen gut und böse erhalten. Unser Tun folge also stets diesem Wissen und unsere Jagd gelte nur dem Bösen und der Unwissenheit in unserem Inneren. Dann erlangen wir göttlichen Segen. Solange wir anderen Lebewesen Leid zufügen, werden auch wir selber leiden. In den Veden und Shastras steht geschrieben: 'Glück erlangt, wer andere glücklich macht; Leid erfährt hingegen, wer anderen Leid zufügt.' "
Er drückte diese Wahrheit außerdem in dem folgenden Bhajan aus:
HE ACHAMBO ESO AVE RE JIVONE JIV SATAVE
Voll Grauen sehe ich, wie ein Lebewesen das andere quält.
Wie kann der frohgemut sein, der anderen Leid zufügt?
Glücklich lebt der, der andere liebt!
Die Lehre der Veden und Heiligen ist:
Achte das Leben aller Lebewesen wie dein eigenes,
lebe ohne Neid und Gier, vom Lohne rechtschaffener Arbeit.
Sri Satguru Swami Deep Narayan zeigt den Verirrten den rechten Weg. Sri Revat Singh sagt:
Ich folge seinen Worten und füge keinem Lebewesen Leid zu.
Dieser Bhajan machte einen so tiefen Eindruck auf Chatur Singh, daß er von Stund an nicht nur der Jagd, sondern auch grundsätzlich dem Essen von Fleisch entsagte. Er erkannte die ihm von Revat Singhji übermittelte Wahrheit, wonach es des Menschen höchste Pflicht ist, alle Lebewesen zu schützen, die größte Sünde hingegen, ihnen Leid zuzufügen. Die erste Pflicht des Kshatriya[16] besteht in der Bekämpfung des Bösen.
Das schwerste Karma verursachen die folgenden Taten:
Töten, Rauben, Stehlen, Zerstören fremden Eigentums, Betrügen, Lügen sowie andere zur Abkehr vom menschlichen Dharma[17] zu verführen.
Chatur Singhji trug die Lehren Thakur Revat Singhs weiter, und, von der Echtheit seines Wandels inspiriert, begannen viele der Lehre Mahaprabhujis zu folgen.
Die erblindeten Diebe
In der Vollmondnacht des Monats Kartika (Oktober) feierte Mahaprabhuji im Ashram zu Khatu einen großen Satsang mit reichem Bhajan- und Kirtangesang. Unter der Schar von Menschen, die herbeiströmten, um dem Fest beizuwohnen, befanden sich auch einige Diebe, die sich im Schutze der Nacht und der Menge reiche Beute erhofften. Mahaprabhuji erkannte die Absichten derselben wohl, enthüllte den Ergebenen ihre Anwesenheit aber nicht.
Auch Thakur Revat Singh war zu diesem Satsang gekommen; die zwei Kamele, die er mitgebracht hatte, waren außerhalb des Ashrams festgebunden. Um Mitternacht - am Höhepunkt der Feierlichkeiten, als alle Ergebenen voll Andacht sangen und beteten - schlichen die vier Diebe unbemerkt aus dem Ashram, banden die Kamele los und machten sich mit ihnen davon.
Bei der Entdeckung des Diebstahls kurze Zeit danach erhob sich beträchtliche Unruhe unter den Satsangbesuchern.
Mahaprabhuji jedoch sagte:
"Macht euch um die Kamele keine Sorgen. Ich versichere euch, sie werden nicht verloren gehen. Laßt uns den Satsang fortsetzen!"
Da sich die Menschen nicht beruhigen ließen, forderte er sie auf:
"Kommt vor das Tor des Ashrams und überzeugt euch selbst von meinen Worten."
Alle liefen vor den Ashram und sahen zu ihrem großen Erstaunen, daß die vier Diebe auf den Rücken der beiden Kamele den Ashram umkreisten. Dabei glaubten sie aber, schon eine weite Strecke zurückgelegt zu haben. Einer von ihnen fragte sich:
"Nun sind wir schon so lange geritten, seltsamerweise kamen wir aber noch bei keinem Dorf oder Haus vorbei. Irgendetwas stimmt hier nicht!"
Der zweite Dieb meinte:
"Es ist so finster. Ich kann überhaupt nichts sehen."
Auch die anderen beiden klagten über die Dunkelheit, die ihnen jede Sicht verwehrte. Sie alle aber waren in der Illusion befangen, bereits weit vom Ashram entfernt zu sein.
Plötzlich wurden sie angehalten - die Satsangbesucher waren zu ihnen hingelaufen, hatten die Zügel der Kamele erfaßt und führten die Diebe vor Mahaprabhuji. Zu ihrem Schrecken wurden diese nun gewahr, daß sie erblindet waren. Weinend fielen sie vor Mahaprabhuji auf die Knie: "Oh Gurudeva, vergib uns. In unserer Unwissenheit haben wir uns dem Diebstahl verschrieben. Nun sind wir mit Blindheit umfangen. Bitte sei uns gnädig und gib uns unser Augenlicht wieder!"
Mahaprabhuji erwiderte:
"Versprecht, vom heutigen Tage an das Stehlen aufzugeben und euch von rechtschaffener Arbeit zu ernähren. Wenn ihr das befolgt, werdet ihr euer Augenlicht zurückerhalten. Begeht ihr aber in Zukunft auch nur einen einzigen weiteren Diebstahl, so werdet ihr für den Rest eures Lebens erblinden."
Alle vier versprachen, nie wieder zu stehlen, und der barmherzige Meister machte sie wieder sehend.
Nach einiger Zeit wurde jedoch einer von ihnen rückfällig und stahl. Sofort verlor er sein Augenlicht und blieb bis ans Ende seines Lebens blind. So erweisen sich unfehlbar die Worte einer göttlichen Seele als Schlüssel zu Glück und Wahrheit.
Chaturmas[18] in Bari Khatu
Thakur Revat Singh und die Bewohner von Bari Khatu waren von Mahaprabhujis Satsangs immer wieder im Tiefsten ihrer Seele berührt. Sie alle wünschten sehr, Mahaprabhuji möge die vier Monsunmonate bei ihnen verbringen. Daher begab sich Sri Revat Singhji mit einigen Männern zum Khatu Ashram, um Mahaprabhuji einzuladen. Sie begrüßten ihn, um ihm ein von allen Dorfbewohnern unterzeichnetes Schreiben zu überreichen, mit den Worten:
"Sri Mahaprabhuji, wir bitten Dich demütig, unseren Ort Bari Khatu während des Monsuns mit Deiner Anwesenheit zu segnen."
Mahaprabhuji nahm die Einladung an, indem er lächelnd erwiderte:
"Gott ist in den Händen seiner Bhaktas. Ich werde euren Wunsch erfüllen und für diese Zeit in Bari Khatu bleiben. Jedoch möchte ich an einem Platz außerhalb des Ortes wohnen, wo alle jederzeit zu mir kommen können."
Darauf antwortete Sri Revat Singhji:
"Gurudeva! Westlich des Dorfes, am Fuße des Hügels, befindet sich ein Haus neben einem großen Banyanbaum. Bitte nimm dieses als Deine Wohnung an. Der Ort entspricht Deinen Wünschen, indem er Platz für viele Besucher bietet, die dort unter freiem Himmel sitzen können. Fehlt etwas zu Deiner Bequemlichkeit, so werde ich alles nach Deiner Anweisung einrichten lassen."
Zur allseitigen Freude der Bürger von Bari Khatu gab Mahaprabhuji sein Einverständnis. Und sie kehrten glücklich in ihr Dorf zurück.
Thakur Revat Singh bereitete alles für den Aufenthalt Mahaprabhujis in Bari Khatu vor. Er ließ an der Westseite des Ortes einen Garten anlegen und benannte ihn zu Gurudevas Ehren Bhagwan Sri Deep Narayan Bhagichi. Der Garten und das Haus, in dem sich Mahaprabhuji damals aufhielt, sind bis zum heutigen Tag erhalten geblieben.
Am elften Tag des Monats Ashadh holten Thakur Revat Singh und die Würdenträger des Ortes Mahaprabhuji frühmorgens in einer geschmückten Kutsche ab und geleiteten ihn in feierlicher Prozession zur Ortschaft. Die Männer und Frauen von Bari Khatu hießen ihn festlich willkommen und schlossen sich dem Zug an. In dem für ihn bereiteten Haus beim Bhagwan Sri Deep Narayan Bhagichi ließ sich Mahaprabhuji nieder und hielt Satsang.
Gurudevas Worte göttlicher Weisheit strömten als himmlischer Nektar auf die Anwesenden nieder. Befreit von allen weltlichen Sorgen wurden sie in die Glückseligkeit Brahmans entrückt. Sogar heute noch erzählen die Menschen in Bari Khatu über die einzigartige Gnade, die ihnen in diesen Tagen widerfuhr. Hunderte Ergebene versammelten sich täglich, um an diesem Segen teilzuhaben.
Mahaprabhuji war der Quell der Weisheit und Freude. Mochte er nun über die Veden, Upanishaden, die Bhagavad Gita, das Ramayana, Mahabharata oder andere heilige Schriften sprechen, stets vermittelte er sie den Menschen in einfachen, verständlichen Worten und veranschaulichte die Lehren der Heiligen und Philosophen in zahlreichen Gleichnissen. Swamis, Sadhus, Aspiranten und Dorfbewohner kamen in großer Zahl von weit her, um den Satsang Gurudevas zu hören. So vergingen die vier Monate des Monsun in friedvoller Atmosphäre, erfüllt von Freude und Weisheit.
Am Ende des Aufenthaltes von Mahaprabhuji wurde anläßlich des Vollmondtages ein großer Satsang gegeben. Der Thakur überreichte Mahaprabhuji ein Dankschreiben aller Ergebenen aus Bari Khatu:
OM SRI DEEP NARAYANANA NAMAHA
"Wir grüßen Dich, OM SRI DEEP NARAYAN"
Srimad Paramhansa Paribrajakacharya Jagatguru[19] , ewiger Meister, der das Dunkel der Unwissenheit entfernt, Höchstes Selbst, verehrter Swamiji Maharaj, tausendfach gepriesener Bhagwan Sri Deep Narayan Mahaprabhuji! Voller Gnade hast Du Bari Khatu im Distrikt Nagaur zu Rajasthan den Segen Deiner heiligen Anwesenheit gewährt. Als Frucht unserer guten Taten aus Tausenden früherer Leben wurden wir des Darshan und Satsang einer solch großen Seele wie der Deinen, des höchsten Brahman, teilhaftig.
Oh Mahaprabhuji, Ozean der Barmherzigkeit, durch die sonnengleiche Weisheit aus Deinem Munde wurde die Dunkelheit des Unwissens von uns genommen! Mit Deinen heiligen Worten hast Du uns die Essenz der Schriften, die Bedeutung der Upanishaden, der Schriften Sri Shankaracharyas, der Yoga-, Nyaya- und Mimamsa-Shastra, der Puranas und all der anderen heiligen Schriften nahe gebracht. In Gleichnissen und Erzählungen versuchtest du, unsere Unwissenheit aufzuhellen und die schwer faßbaren Dinge für uns leichter zugänglich zu machen. Zahlreiche herrliche Satsangs hast Du uns geschenkt, Satsangs, die die Zuhörer aus dieser und den anderen Ebenen der Welt mit Freude erfüllten. Nie wird dies der Vergessenheit anheimfallen.
Bewahrer des Dharma, Maryada Purushottama, Jagatguru![20]
Deine lotusgleichen Worte gaben uns das Wissen über unser wahres Selbst. Im Ozean der Unwissenheit waren wir versunken, verstrickt in Leid, Gier, Zorn, Selbstsucht, Eifersucht und Leidenschaften. Davon hast Du uns befreit. Nur durch Deine Gnade, Sri Mahaprabhuji, erkennen wir unser wahre Gestalt. Nie wird unser Dank enden können.
Namens aller Einwohner von Khatu bekunden wir Dir tausendfachen Dank! Oh barmherziger Gurudeva! Wir bitten Dich, schenke uns auch weiterhin Deinen Satsang, Deine göttliche Weisheit, und sei nachsichtig mit unseren Fehlern und Irrtümern.
(Unterzeichnet von:) Berisal Kamdar, Sekretär des Thakur
Die Nachkommen von Thakur Revat Singh
Schon seit mehreren Generationen hatten die Rajas von Bari Khatu keine eigenen Nachkommen und mußten ihre Erben auf dem Adoptivwege einsetzen. Auch Thakur Revat Singh war kinderlos geblieben, doch hofften seine Untertanen sehr, daß ihrem Regenten durch die Gnade Mahaprabhujis, von dessen Allmacht sie überzeugt waren, doch noch ein eigenes Kind geschenkt würde.
Bei einem Satsang erhob sich Thakur Revat Singh und richtete folgende Worte an Mahaprabhuji:
"Mein geliebter Wohltäter, alt bin ich nun geworden und möchte daher mit Deiner Zustimmung einen Erben adoptieren. Bitte, suche Du einen Knaben aus, der mein Nachkomme werden soll."
Lächelnd schüttelte Mahaprabhuji den Kopf:
"Es ist nicht notwendig, daß du ein Kind adoptierst, denn bald wirst du selbst mit deiner Gattin einen Sohn haben, der deinen Thron erben wird."
Auch Dr. Ramesh Chandra Sethi, ein Arzt aus Delhi, war anwesend und meldete sich nun zu Wort, um Mahaprabhuji zu erklären:
"Verzeih, wenn ich Dich unterbreche, aber gemäß den Erkenntnissen der Medizin ist es für ein Paar in diesem Alter nicht mehr möglich, Kinder zu bekommen. Ich nehme daher nicht an, daß dem Thakur jetzt noch ein Kind geboren werden kann."
Mahaprabhuji antwortete ungerührt:
"Doktor, deine Wissenschaft und meine Wissenschaft vertreten hier offenbar zwei nicht zu vereinbarende Standpunkte. Deine Wissenschaft behauptet, sie könnten keine Kinder mehr haben, während meine Wissenschaft versichert, daß sie sogar noch mit mehreren Kinder gesegnet sein werden."
Nun trug Mahaprabhuji dem Thakur auf, zu Ehren dieser frohen Botschaft eine Feuerzeremonie durchzuführen. Der Raja befolgte diese Anweisung, obwohl auch ihm die Erfüllung von Mahaprabhujis Weissagung eigentlich unmöglich erschien.
Und doch: wie immer bewahrheiteten sich Mahaprabhujis Worte, und nach neun Monaten wurde dem Thakur ein Sohn und Erbe geboren. Die Nachricht verbreitete sich in Windeseile über das ganze Land, und alle waren voll des Jubels über das freudige Ereignis. Überglücklich ließ der Thakur an die Armen und Hilfsbedürftigen reiche Spenden austeilen.
Es wurde ein großes Fest gefeiert. Mahaprabhuji verteilte Prasad und gab dem kleinen Prinzen den Namen Sri Abhaya Singh. Später wurden dem Thakur noch ein Sohn namens Amar Singh und eine Tochter, die den Namen Anupkunwar erhielt, geboren. Heute noch leben alle drei in Bari Khatu. Sie wurden ergebene Schüler Mahaprabhujis und bewahren treu seine Lehre.
So verwirklichte sich die Gnade, die Mahaprabhuji dem Thakur zu gewähren versprach, in reichem Maße.
Aus Dankbarkeit schenkte dieser Mahaprabhuji fünfhundert Hektar Land, welches der Meister jedoch nicht für sich behielt, sondern an arme Bauern verteilte.
Einige der Schüler übten Kritik daran und sagten zu Mahaprabhuji:
"Meister, Du hast das ganze Land den Armen weitergeschenkt, obwohl es dem Ashram zugedacht war. Es hätte besser den Gästen und Schülern des Ashrams gedient. Gibt es doch in Indien zahlreiche Einsiedeleien, Tempel und Ashrams, die ihr Einkommen aus den Erträgen ihrer Ländereien beziehen, die ihnen von den Herrschenden geschenkt wurden. Auch ein Ashram braucht doch Landbesitz."
Mahaprabhuji hörte sich ihre Argumente geduldig lächelnd an und erwiderte:
"Alle Menschen, Weise und Heilige, Suchende und Aspiranten, Arme und Reiche, kommen mit ihrem bestimmten Schicksal auf die Welt, das gemäß ihrer Taten aus früheren Leben beschaffen ist. Dieser Ashram hier wird niemals Mangel leiden. Gott Shiva selbst beschützt ihn, und alle Riddhis und Siddhis[21] werden stets zu seinen Diensten sein. Bedenkt auch, daß all die Klöster und Tempel, die Land oder anderen Besitz ihr eigen nennen, ständig in überflüssige Streitigkeiten verwickelt sind. Unentwegt sind die Gerichte mit Streitfällen über Besitzansprüche befaßt. Eigentum verursacht immer Meinungsverschiedenheiten. Viele Menschen kommen zu mir und erbitten meinen Segen, um einen derartigen Prozeß zu gewinnen. Ich aber sage ihnen stets, sie sollten auf ihr Schicksal vertrauen. Was immer in unserem Schicksal geschrieben steht, wird uns auch zuteil werden. Warum also sollten wir uns Sorgen machen?
Entsagung ist der Schlüssel zur Glückseligkeit. Dies bedeutet nicht, daß ihr euren Pflichten ausweichen sollt. Wahre Entsagung liegt vielmehr im Aufgeben von Illusionen, falschen Vorstellungen, Ablenkungen und Wünschen. Sie besteht darin, stetige Zufriedenheit zu erreichen und Gott im Herzen zu bewahren. Lebt glücklich. Das menschliche Leben ist sehr kostbar. Verschwendet es nicht sinnlos. Wer dem materiellen Besitz entsagt hat, benötigt kein Geld für Prozesse.
Reichtum und Besitz währen niemals ewig. Nach dem Tod gehen nur unsere Karmas mit uns. Immer wieder künde ich den Menschen hiervon, doch sie beachten meine Worte nicht und laufen weiterhin ihren Illusionen und Wünschen hinterher. Sie alle lassen sich von der Maya täuschen! Besitz bringt Sorgen, Entsagung hingegen führt zur Freiheit. Nichts gehört dir. Halte fest an der Wahrheit und besinne dich auf Gott!"
Mahaprabhuji sang:
DUNYA KE JAGDAND ME PHAS GAYE JIVA ANANT
Ungezählte Wesen sind im Netz der Welt gefangen.
Die Weisen bemühen sich, ihnen die Wirklichkeit zu zeigen,
doch jene verstehen sie nicht.
Was sollen da die Heiligen tun, wenn sogar die Gelehrten zweifeln
und die Bewahrer des Glaubens in die Irre gehen?
Swami Deep Narayan sagt:
Es ist besser zu schweigen, denn reden hat keinen Sinn.
Thakur Revat Singhs Abschied
Die Jahre gingen dahin in Frieden und Harmonie, und eines Tages eröffnete Thakur Revat Singhji den Bürgern von Bari Khatu:
"Meine Brüder! Durch die Gnade Mahaprabhujis erfuhr ich, daß ich in genau einem Jahr meinen Körper verlassen werde. Ich hatte das große Glück, daß Gurudeva - die Inkarnation des Höchsten Selbst - mich über den Ozean der Welt führte. Durch seinen Segen wurden all meine weltlichen und spirituellen Wünsche erfüllt. Möge Mahaprabhuji mir mit jeder Wiedergeburt seinen heiligen Darshan gewähren!"
Bei diesen Worten wurden die Bürger von Khatu von großer Unruhe erfüllt. Sie hatten Thakur Revat Singh in ihr Herz geschlossen und wußten, daß es kaum möglich sein würde, wieder einen solchen Regenten zu finden. Zwei Monate vor dem vorausgesagten Zeitpunkt fühlte Thakur Revat Singh große Sehnsucht, Mahaprabhuji bei sich zu sehen, der seine Einladung annahm. Auch ich, der ich dieses Buch verfaßte, durfte bei diesem Besuch dabei sein. Zwei Monate lang hielt Mahaprabhuji tagtäglich Satsang im Palast des Thakur. Während dieser Zeit schenkte er Thakur Revat Singh die Erleuchtung und übermittelte ihm das höchste Wissen über die Wahrheit und das Göttliche Selbst.
Am Tage, bevor er seinen Körper verließ, bat Thakur Revat Singh alle Bürger von Khatu zu sich und sprach zu ihnen:
"Ihr alle habt Zeit meines Lebens treu zu mir gestanden. Daß die Reise meines Lebens erfolgreich war, verdanke ich eurer Mithilfe und dem Segen Gurudevas. Nun geht diese Reise ihrem Ende zu. Morgen früh um vier Uhr werde ich mich von euch verabschieden. Doch nicht trauern sollt ihr um mich, denn ich vereine mich mit Sri Gurudevas gestaltloser Form des Sat Chit Ananda Brahman[22] . Sollte ich irgendjemandem von euch in irgendeiner Weise je ein Unrecht angetan haben, so erbitte ich seine Verzeihung."
Nach diesen Worten faltete er seine Hände zum Gruß und verbeugte sich vor den Versammelten. Alle waren tief ergriffen und vieler Augen füllten sich mit Tränen. Es wurde ein großer Satsang gehalten, der die ganze Nacht andauerte. Am Morgen des nächsten Tages, genau um vier Uhr früh, verneigte Thakur Revat Singhji sich vor Mahaprabhuji und betete mit gefalteten Händen:
"Mahaprabhuji, durch Deine Gnade habe ich den Ozean der Maya überquert. Durch Dich wurde ich glücklich und erhielt reichen Segen. Ich durfte all diesen Menschen hier dienen und zugleich in Deiner Nähe sein. Auch jetzt, wo ich von dieser Welt Abschied nehme, schenkst Du mir die Gnade Deiner Anwesenheit. Bitte segne mich, oh Herr."
Er sang OM, Mahaprabhuji segnete ihn und Thakur Revat Singhji trennte sich von seinem Körper.
Zum Gedenken des Thakur wurde ein Grabmal aus Marmor am Rande der Ortschaft Pong nahe Bari Khatu errichtet, das heute noch dort zu sehen ist.
[1]Peer = moslemische Entsprechung für Siddha
[2]Avadhuta = verwirklichter Heiliger, frei von jeglicher weltlicher Anhaftung und Bedingtheit; Aulia = "Bewohner des Himmels"
[3] Das Umhängen von Blumenketten und -girlanden ist eine Sitte der Begrüßung und traditionelle Geste der Verehrung.
[4]Sanatan Dharma = "wahre Verwandtschaft", wahre Verbindung der Seele mit Gott
[5]Satya Loka = "Welt der Wahrheit", höchste, göttliche Ebene
[6]Sanatan ist hier im Sinne von Dharma (Aufgabe, Pflicht) gebraucht.
Gurudev = Gott in menschlicher Gestalt ("Sarguna")
Ishvara = das allgegenwärte Göttliche Prinzip ("Nirguna")
[7]Mantra = heiliges Wort, Diksha = Einweihung
[8]Tattva = Element, Prinzip, Darshi = der "Sehende", der Wissende, Mahatma= große Seele
[9]Raj-Rishi = königlicher Weiser
[10]Bhakti = Hingabe an Gott, Gyana = Wissen
[11]Gyan-Yoga = Yogaweg des Wissens
[12]Bhakti-Yoga = Yogaweg der Hingabe an Gott
[13]Atma Gyana = Erkenntnis des Selbst
[14]Bhopas = Orakelpriester
[15]Hari = Name Gott Krishnas, Brahman = allgegenwärtiger, formloser Gott
[16] Kshatriya = Krieger
[17] Dharma = Pflicht, Lebensaufgabe
[18] Chaturmas = Monsun
[19] Ehrfurchtsvolle Anrede mit den höchsten spirituellen Ehrentiteln
[20]Maryada Purushottama = Höchster Purusha, Jagatguru = Guru für die ganze Welt
[21]Riddhis = Wohlstand, Siddhis = übernatürliche Kräfte
[22] Sat Chit Ananda = Wahrheit-Bewußtsein-Glückseligkeit - die Wesensmerkmale des Atma Brahman = das Höchste Selbst, Gott
Nächstes Kapitel: Siddha Yogi Sri Shankar Puriji
Voriges Kapitel: Sri Swami Shivananda
Übersicht: Mahaprabhujis Schüler